Tyll : Roman

Kehlmann, Daniel, 2017
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Medienart Buch
ISBN 978-3-498-03567-9
Verfasser Kehlmann, Daniel Wikipedia
Systematik Ddt Rom - Ddt - Roman
Schlagworte Krieg, Tyll Ulenspiegel, 30jähriger Krieg, Gaukler
Verlag Rowohlt
Ort Reinbek
Jahr 2017
Umfang 473 S.
Altersbeschränkung keine
Sprache deutsch
Verfasserangabe Daniel Kehlmann
Annotation Quelle: bn.bibliotheksnachrichten (http://www.biblio.at/literatur/bn/index.html);
Autor: Jonathan Werner;
Das Leben - ein Tanz auf dem Seil. (DR)
Der Name Tyll schafft unweigerlich Assoziationen zu Till Eulenspiegel, dem wohl bekanntesten Narren und tragischen Helden des 13. Jahrhunderts. Kehlmann lässt seinen Tyll jedoch im 17. Jahrhundert zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges auftreten. Vielleicht hätte er seinen Tyll auch in der Gegenwart ansetzen können, doch das wäre zu plump, das wäre nicht Kehlmann. Aber die Frage steht im Raum: Wer wäre dieser Tyll wohl heute? Mit dieser Frage kommt eine Erkenntnis: Tyll, das ist ein Archetyp. Nicht der des Königs, Kriegers oder Magiers. Nein, der des Gauklers. Der des Seiltänzers, der sich zwischen den Antipoden der Macht geschickt durchs schwankende Leben tanzt und doch jederzeit Gefahr läuft abzustürzen. Wenn Sie Tyll begleiten, mit ihm zahlreichen bekannten und unbekannten Mächtigen und Törichten der Zeit begegnen, mit ihm zwischen Kriegsgetümmel und Dorfidyll umherziehen, dann lässt Sie die Frage nach sich selbst nicht los. Das Narrengewand ist das Gewand des Menschen an sich, es ist auch Ihres. Die Frage nach dem Menschsein ist für Tyll existentiell und so führt sie auch unweigerlich hin zur Frage nach Leben und Tod.
Tyll ist historisch, literarisch, philosophisch und theologisch dicht und dabei schwebend in der Sprache. Das Buch ist wie der Mensch auf dem Seil. Einmal hingesehen und Sie werden nicht anders können, als gebannt weiterzuschauen und weiterzulesen! Ein Buch für alle, die den Mut haben, den Tanz auf dem Seil, der sich Leben nennt, zu wagen und dabei auf einen zu blicken, der vormacht, wie es gehen könnte.

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Quelle: Literatur und Kritik;
Autor: Rainer Moritz;
Ich bin der Tyll
Daniel Kehlmanns Roman »Tyll«
Wer einen Weltbestseller schreibt, hat es in der Folge nicht leicht und steht unter besonders genauer Beobachtung. Daniel Kehlmann ist es so ergangen. Seit seinem exorbitant erfolgreichen Roman Die Vermessung der Welt (2005), der ein wenig vergessen ließ, dass er bereits zuvor mit Ich und Kaminski etwa feine Bücher vorgelegt hatte, tat er sich schwer, vergleichbare Anerkennung zu finden. Zwar galt er fortan als einer der gefragtesten deutschsprachigen Autoren, der zu gesellschaftspolitischen Fragen aller Art gern Stellung nahm, internationale Kontakte pflegte, den Deutschen Buchpreis (den er 2005 im Wettstreit mit Arno Geiger nicht gewonnen hatte) als unwürdiges Spektakel verdammte, vor Belesenheit strotzende Essays schrieb und die Bücher seiner Freunde gern als Meisterwerke pries, doch bei seinen Nachfolgeromanen wie Ruhm und F oder der Gespenstergeschichte Du hättest gehen sollen wollte keine ungeteilte Begeisterung aufkommen. Gewiss, auch das waren anspielungsreiche, gescheite Prosawerke, die in postmodernem Gestus um Identitätsverlust und Identitätsverwischung kreisten. Den Verdacht, dass es dem Autor Kehlmann schwerfalle, ein wirkliches Thema zu finden und zu behandeln, konnten sie jedoch nicht entkräften.
Mit seinem neuen Roman, der großzügig gesetzt fast 500 Seiten umfasst, versucht Kehlmann den Gegenbeweis anzutreten, und wie man das Buch auch drehen und wenden mag, es lässt sich nicht abstreiten, dass ihm das glänzend geglückt ist. Tyll ist eines jener Werke, die ohne jede auftrumpfende Attitüde belegen, wozu Literatur fähig ist und was sie in ihren lichtesten Momenten einzigartig macht. Hinzukommt, dass Kehlmann viel riskiert, kein kleines Meisterstück vorlegen will, sondern aufs Ganze geht und einen ungemein kühnen Erzählrahmen konstruiert.
Der Gaukler und Schalk Till Eulenspiegel der bei Kehlmann als Tyll Uhlenspiegel firmiert zählt zu den populärsten, von Literatur, Kunst und Film ungezählte Male adaptierten Figuren der europäischen Tradition, wiewohl seine genauen biografischen Umstände im Dunkeln liegen. Im 14. Jahrhundert soll er gelebt haben, ausgestattet mit den Attributen »Eule« und »Spiegel«, denen sich später die zeichnerisch vielfach festgehaltenen Eselsohren und Narrenkappen hinzugesellten. Wenn sich Kehlmann nun dieses Mannes annimmt, so kümmert er sich keinen Deut um historisch korrekte Datierungen. In einem wagemutigen Handstreich versetzt er seinen Tyll ins 17. Jahrhundert, macht ihn zu einem Müllerssohn, zum Vaganten, zu einem provozierenden Hofnarren, der sich durch den Dreißigjährigen Krieg schlägt und so zum Spiegel einer Epoche des Schreckens wird.
In einem steten erzählerischen Vor und Zurück laviert sich Tyll zusammen mit seiner »Schwester« Nele durch das Geschehen, ohne sein frühes Trauma, die Hinrichtung seines philosophierenden, die Welt begreifen wollenden Vaters Claus, vergessen zu können. Tyll in Kehlmanns Lesart ist ein Überlebenskünstler, der mit Keckheit und Witz allen Widrigkeiten zu trotzen scheint. Um ein opulentes Zeitpanorama zu präsentieren, lässt Kehlmann dabei eine Vielzahl historisch verbürgter und fiktiver Personen aufmarschieren. Der nachdenkliche Henker Tilman, den man des Unglücks wegen nicht anfassen darf und der darum fleht, dass die Delinquenten ihm mit ihrem letzten Atemzug vergeben, der sprechende Esel Origines, der Erzhochstapler und Universalgelehrte Athanasius Kircher, der Barockdichter Paul Fleming sie alle haben ihre unverwechselbaren Auftritte und machen die Frage, was an ihren Reden und Erlebnissen »wahr« oder »unwahr« sein könnte, ganz und gar überflüssig.
Welche Leiden der Dreißigjährige Krieg für die Menschen mit sich brachte, davon erzählt Tyll in scharf gestochenen Bildern, die keine dekorative Opulenz benötigen, wie man sie aus so vielen aufgeblähten historischen Romanen kennt, deren Verfasser so tun, als würden sie die Tischgespräche von Herrschern oder Kriegsführern getreulich nachzeichnen. Daniel Kehlmann pfeift darauf, nimmt sich alle Freiheiten und schafft so einen Kosmos, der modern wirkt, wie sehr er auch von längst vergangenen Intrigen, Morden, Magien und Schlachten erzählt. Darin liegt eine verdeckte und versteckte Aktualität von Tyll: Man hat unweigerlich den Eindruck, dass dieser Roman nur entstehen und gelingen konnte, weil sein Autor Terror, Vernichtung und Religionskämpfe unserer aktuellen Zeit genau wahrgenommen hat und nun seine Anteilnahme denen zuteilwerden lässt, die die Opfer der Geschichte sind. Für postmoderne Spielchen, die nicht mehr als gefällig sind, scheint plötzlich kein Raum mehr zu sein, und wo immer man Shakespeare- oder Grimmelshausen-Anspielungen registriert, kommt nie das Gefühl auf, es gehe hier darum, Bildungsgut stolz auszustellen.
Dass Kehlmann mit so traumwandlerischer Sicherheit alle Klippen seines Stoffes umschifft, hat natürlich mit der Sprache seines Textes zu tun. In keiner Zeile ist er der Versuchung erlegen, ein barockisierendes Wortgeklingel nachzuahmen. Von dem Moment an, da Kehlmanns Protagonist mit dem Ausruf »Ich bin der Tyll. Meine Schwester da drüben ist die Nele. Sie ist nicht meine Schwester« auf den Plan tritt, ist ein Ton größter, beschwingter Leichtigkeit angeschlagen. Die Dialoge schweben durch den Text, selbst wenn ernsthafteste Probleme von Krieg und Frieden verhandelt werden zum Beispiel, wenn der unglückselige Pfalzgraf Friedrich V., der mit seinem Agieren 1618 maßgeblich dazu beitrug, den Krieg auszulösen, vom Schweden Gustav Adolf wie ein Bittsteller behandelt wird und nichts auszurichten vermag. Wie Kehlmann hier Rede und Widerrede über Seiten hinweg setzt, sie mit untergründigem Witz versieht, das ist eine von vielen meisterhaften Szenen in diesem Roman.
Keine Frage, Daniel Kehlmann hat sich zurückgemeldet und wie!

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